Jetzt wird die Wasserwirtschaft in NRW aufgearbeitet

Da dürften die Grünen mindestens dem NRW-Umweltministerium die Sommerferien gründlich verhagelt haben. Nein, das ist keine Folge des Klimawandels – zumindest nicht unmittelbare. Hier geht es um eine „Große Anfrage“ der Landtagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen. Am 11.7. brachten sie diese auf den Weg.. Genau 196 Fragen zu „Wasser in NRW nachhaltig nutzen und schützen!“ sollen von der NRW-Landesregierung innerhalb von drei Monaten, also bis Oktober 2019, beantwortet werden. Dieser Faktencheck könnte in einer Wasserstrategie für NRW münden.

Faktencheck Wasser in NRW

NRW hat in den vergangenen Jahren einige wegweisende wasserpolitische Maßnahmen eingeleitet und umgesetzt. Um nur einige zu nennen, wären da die Projekte zu Spuren- und Mikroschadstoffen, das Programm „Reine Ruhr“, die kommunalen Wasserversorgungskonzepte, das Projekt „Wasser in der Stadt von morgen“, die vielen landwirtschaftlichen Kooperationen und das NRW-Trinkwasser-Benchmarking. Das ist mitnichten nur ein Verdienst der Landesregierung, sondern den Ideen und dem Einsatz der Verbände, Institute, Vereine, Bildungseinrichtungen und Unternehmen geschuldet. Im Dezember wird mit dem Forum „Digitale Wasserwirtschaft“ ein weiterer Meilenstein gesetzt. Es gibt viele wertvolle Ergebnisse. Vieles davon ist nur schwer aufzufinden. Vermutlich ist es auch die Motivation der Grünen, diese wertvollen Grundlagen eines Landeswasserpolitik und -strategie aufarbeiten zu lassen. Daher betreffen die Fragen in den neun Kapiteln fast alle relevanten Bereiche der nordrhein-westfälischen Wasserwirtschaft. Schwerpunkte dieses „Faktenchecks Wasser in NRW“ bilden die folgenden Aspekte:

  • den Wasserverbrauch in vielfältigsten Facetten,
  • die Nitrat- & Pestizidbelastung sowie Mikroplastik und
  • die Medikamente & multiresistente Keime jeweils als Risiken für Natur und Menschen (dito),
  • die Bewertung der Erfolge und der Kosten für Kooperationen in der Landwirtschaft,
  • die Kosten einer 4. Reinigungsstufe bei Abwasser,
  • die Auswirkungen und Kosten des Grubenwasseranstiegs,
  • den Rohstoffabbau und seine Folgen für den Wasserhaushalt,
  • die strategische Herangehensweise der Klimafolgenanpassung bezogen auf Wasservorräte und Dürre sowie Trockenheit, aber auch Starkregenereignisse,
  • den Investitionsbedarf in der wasserwirtschaftlichen Infrastruktur einschliesslich des darin enthaltenen Investitionsstaus und dessen Beseitigung sowie
  • die Chancen und Risiken der Digitalisierung in der Wasserwirtschaft und als abschließendes Kapitel
  • die Gewässerentwicklung.

Auch wirtschaftliche Fragestellungen finden ihren Niederschlag

Auch wenn es am besten ist, wenn sich Interessierte selbst ein Bild von den Fragen machen, hier einige Beispiele mit Relevanz zur Ökonomie:

  • „Wasserversorger prognostizieren eine weitere signifikante Zunahme des Investitionsbedarfs. Was sind die Ursachen für diesen großen Investitionsbedarf?“
  • „Wie groß ist der Investitionsstau in der Wasserversorgungs- und Abwasserinfrastruktur in NRW? Bitte Investitionsstau aufgeschlüsselt nach Landkreisen benennen.“
  • „Welche Preis- und Gebührensteigerungen sind aufgrund des zu bewältigenden Investitionsstaus für die Verbraucherinnen und Verbraucher bzw. Unternehmen in den nächsten 20 Jahren zu erwarten?“
  • „Wie positioniert sich die Landesregierung bezüglich einer Weiterentwicklung der Abwasserabgabe nach dem Wasserentnahmeentgelt?“
  • „Gibt es Erkenntnisse über eine belastbare Kosten-Nutzen-Relation von digitalen Zählern aus anderen Bereichen und inwiefern sind diese auf die Wasserwirtschaft übertragbar?“
  • „Die Renaturierung von Fließgewässern ist mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden. Mit welchen Maßnahmen stellt die Landesregierung sicher, dass die investierten Mittel die erzielten Erfolge bzgl. der Zielerreichung gemäß EU-WRRL erreichen bzw. mit welchen Controlling-Mechanismen wird Fehlinvestitionen vorgebeugt?“ usw.

Was bei der Durchsicht der Fragen auffällt ist, dass das Thema „Wasserpreise“ eine vergleichsweise insgesamt geringe Bedeutung aufzuweisen scheint. Da, wo es dann doch kommt, wird es herausfordernd für die Landesregierung. Denn wie beantwortet wird, wie sich die Wasserpreise in den kommenden 20 Jahren entwickeln werden, wird nicht nur vom Ergebnis betrachtet spannend, sondern dürfte auch wegen der Herleitung von großem Interesse sein.

Grünen-Fraktion erhofft sich eine „stichfeste Arbeitsgrundlage“

In ihrer Begründung führen die Grünen aus: „Wasser ist unser wichtigstes Lebensmittel. Es verdient einen besonderen Schutz vor Belastungen aus Industrie, Landwirtschaft und Zivilgesellschaft. Problematisch sind besonders die anhaltend hohen Einträge von Nitrat sowie der massive Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Außerdem werden immer mehr Rückstände von Mikroplastik und Medikamenten im Wasser nachgewiesen. Dies stellt die Trinkwasser- und Abwasseraufbereitung vor immer neue Herausforderungen. Auch die Folgen des Klimawandels beeinflussen unsere Wasserversorgung. Der Dürresommer im vergangenen Jahr hat eindrucksvoll vor Augen geführt, dass die Ressource Wasser auch in Nordrhein-Westfalen endlich sein kann. In einigen Regionen werden ganz aktuell Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, Trinkwasser einzusparen. Das zeigt: Die Frage, wie wir Wasser verteilen, gewinnt an Bedeutung. Wir müssen uns heute darauf vorbereiten, unsere Trinkwasserversorgung auch bei häufiger auftretenden Extremwettereignissen sicherzustellen. (…) unsere Flüsse und Bäche sind mehr als Wasserspeicher und Garant für die Trinkwasserversorgung. Sie sind wichtige Lebens- und Naturräume. Zu all diesen Themen haben wir Fragenkataloge erstellt. Wir erhoffen uns aus den Antworten der Landesregierung eine stichfeste Arbeitsgrundlage, um für NRW auch langfristig eine hervorragende Trink- und Gewässerqualität sicherzustellen.“

Keinen „Schwarzen Peter“, sondern zukunftsweisende Wasserstrategie

Kaum einen wasserwirtschaftlichen Aspekt der gegenwärtig Verbraucher, Politiker, Naturschützer und Wasserversorger aktuell bewegt, haben die Grünen ausgelassen. Es klingt wie eine Aufarbeitung von ausstehenden Aufgaben. Der Blick auf die Fragen könnten dem unbedarften Leser ein Bild vermitteln, dass in der Landespolitik ein zu geringer Wissensstand zum Thema Wasserwirtschaft in NRW besteht. Viele Antworten dürften die Grünen schon kennen.

Wenn die „Große Antwort“ auf die „Große Anfrage“ vorliegt, dann steht eine „Große Aufgabe“ bevor. Aus Fragestellung und Kommentierung in dem Anschreiben der Grünen scheint die Zielsetzung sichtbar zu werden, dass mit der Beantwortung eine valide, aktuelle, gemeinsame und „stichfeste Arbeitsgrundlage“ geschaffen werden soll.

Norwich Rüße, Autor der Grünen-Anfrage, unterstreicht in seiner Antwort auf meine Rückfrage, dass es Zeit zum Umdrnken sei: „ Ja, ich glaube, dass wir uns tatsächlich neu aufstellen muessen. Die Zeiten des gedankenlosen „Rumasen“ mit Wasser gehen zuende und da macht es Sinn eine Strategie zu haben, wie dieses begehrte Gut (Trinkwasser, Industrie, Bewaesserung) besser geschützt und in ausreichenden Mengen verfügbar bleibt.“

Da einer „Großen Anfrage“ nach ihrer Beantwortung in der Regel eine parlamentarische Debatte folgt, dürften rege Diskussionen und viel Arbeit zu erwarten sein. Mit Schuldzuweisungen für Versäumnisse dürften sich die Grünen womöglich zurückhalten. Vor zwei Jahren trugen sie die Regierungsverantwortung – gemeinsam mit der SPD. Der Mitunterzeichner der Anfrage, Johannes Remmel, war sogar bis Mitte 2017 in NRW der Umweltminister. Seine mittelbare Nachfolgerin im Amt, Ursula Heinen-Esser, hat auch Unerledigtes von ihm geerbt. Damit gibt es zwei Szenarien: entweder schieben sich aktuelle Regierung CDU/FDP und die Vorgänger SPD/GRÜNE gegenseitig den „Schwarzen Peter“ zu oder beide Lager erkennen, dass viele Probleme nur gemeinsam gelöst werden können und arbeiten zusammen. Der Druck in Folge von Klimawandel, Nutzungskonkurrenzen, Gewässerverunreinigungen, Sanierungsstau oder Digitalisierung ist zu groß, als dass man die geschaffene Arbeitsgrundlage ungenutzt lassen können. Daraus sollte der Landtag angesichts der sich gegenwärtig rasend verändernden klimatischen, gesellschaftlichen, rechtlichen, technischen und ökonomischen Rahmenbedingungen eine zukunftsweisende Wasserstrategie für das Land NRW entwickeln. Es ist zu hoffen, dass die Wasserpolitik im bevölkerungsreichsten Bundesland eine Neuausrichtung im Konsens erhalten wird.

Zu wenig Transparenz bei Anfragen

Kleine und Große Anfragen sind nicht nur für die Parlamentsarbeit wichtig. Sie bieten auch Bürgern, Verbänden und Interessierten – dazu gehören auch Blogger – aufschlussreiche Informationen. Das betrifft die Fragen und die Antworten gleichermaßen. Dass aber über diese Anfrage der Grünen von den Leitmedien in NRW noch nicht berichtet, womöglich auch nicht wahrgenommen worden ist, ist dann doch überraschend. Obwohl gerade der heiße Sommer Wasserthemen wie von selbst transportiert, ist es erstaunlich, dass man darüber nichts liest. Insgesamt fristen diese Instrumente ein Schattendasein. Ich habe viele Hintergrundinformationen aus dem sehr hilfreichen Portal „kleineAnfragen.de“ bezogen. Darin kann man alle Anfragen – egal ob klein oder groß – in den deutschen Parlamenten finden. Das erleichtert nicht nur das Suchen, sondern dank des Benachrichtigungsdienstes erhielt man auch neue Anfragen automatisch. Leider stellt das Portal Ende 2020 seinen Dienst ein, dann wird es abgeschaltet. Der Benachrichtigungsdienst wurde schon eingestellt. Die Gründe dafür geben einen Einblick in das Transparenzverständnis und den Umgang mit der Digitalisierung in Deutschland: „In den letzten Monaten haben immer mehr Parlamente ihre Parlamentsdokumentation überarbeitet. Leider passierte dies, ohne an stabile URLs oder an offene Daten zu denken. Das hat zur Folge, dass für jedes einzelne der 17 Parlamente immer wieder umfangreiche Änderungen an der Software von kleineAnfragen notwendig sind, um die veröffentlichten Anfragen importieren zu können“. Das hat zwar nichts mit Umwelt zu tun, noch weniger mit Wasser, wohl aber mit Handlungsbedarf – nicht nur zugunsten der Blogger.

Weiterführendes / Quelle

  • Wasser in NRW nachhaltig nutzen und schützen!, „Große Anfrage“ im NRW-Landtag, BÜNDNIS90/GRÜNE, 09.07.2019
  • Wer selber mehr über Anfragen im NRW-Landtag wissen will, wird hier fündig und wer danach suchen will, hier
  • Hier geht es zu kleineAnfragen.de

Beitragsfotos: CanStock

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