Jetzt neue Finanzfundamente schaffen und Grundgebühren für Abwasser einführen

Das Bundesverwaltungsgericht hat im Dezember ein folgenschweres Urteil zu so genannten Altanschließerbeiträgen gefällt und Forderungen gegen zwei Cottbuser Grundstücksbesitzer gekippt, die für Anschlüsse aus DDR-Zeiten zur Kasse gebeten worden waren. Damit werden voraussichtlich Beitragsrückzahlungen durch die Abwasserverbände fällig. Die betroffenen Landesregierungen und die Verbände scheinen sehr unterschiedlich mit den finanziellen Folgen umzugehen (siehe hier). Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) sah nach dem Urteil zunächst keinen „gesetzgeberischen Handlungsbedarf“, empfahl aber die notwendigen Kredite über höhere  Mengengebühren für Wasser und Abwasser zu refinanzieren.

Bei dieser Form der Refinanzierung im bestehenden Gebührensystem zeichnen sich allerdings erhebliche Probleme ab. Denn um das ausstehende Volumen auszugleichen, müssten die Mengengebühren geradezu „explodieren“. Zwar hat das Innenministerium laut Potsdamer Nachrichten noch keinen Überblick, um welche Summen es geht, aber ein Gutachten von 2009 für die Landesregierung schätzt das Gesamtvolumen auf 420 Millionen Euro; Experten gehen sogar von fast einer Milliarde Euro aus. Das könnte lang anhaltende Gebührensteigerungen zur Folge haben.

Positive Folgen der Mengengebührensteigerungen kaum erkennbar 

Wenn die Mengengebühren steigen, wie es der Minister vorschlägt, dürfte kaum viel erreicht werden. Zunächst einmal werden sich die höheren variablen Gebühren im Abnahmeverhalten kostenbewußter Wassernutzer niederschlagen, weil die Abwassergebühren an der Trinkwassermenge festgemacht werden. Zu dieser Gruppe zählen Einfamilienhausbesitzer und Gewerbebetriebe. Beide Gruppen erhalten jedes Jahr ihren Gebührenbescheid und haben Optimierungsspielraum.

Sie werden daher versuchen, durch Reduzierung ihres Wasserbezugs vom öffentlichen Versorger und Wassersparen oder Substitution durch Brunnen- oder Regenwasser zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: 1. Trinkwasserkosten senken und 2. wegen der Abwassergebührensteigerung noch lukrativer: Abwassergebühren senken. Treffen wird diese Senkung des Wasserbezugs jene Nutzergruppen, die kaum Spielraum zur Reduzierung ihres Wasserverbrauchs haben: beispielsweise Familien mit Kindern in Mehrfamilienhäusern. Sie brauchen viel Wasser und können zumeist mangels finanzieller Mittel für wassersparende Geräte oder mangels Substitutionsmöglichkeiten ihren Verbrauch kaum senken. Sie trifft die Gebührensteigerung somit doppelt hart. Das kann eine familienfreundliche Politik kaum wollen. Auch können das die Abwasserentsorger kaum wollen. Denn wenn sich Nutzer über Wassersparen aus der als Gebührenzahler zumindest teilweise verabschieden, dann müssen sie die nicht gedeckten Kosten über wiederum steigende Gebühren ausgleichen. Damit scheint eine Gebührenspirale unvermeidbar.

MOZ, 27.1.2016
MOZ, 27.1.2016

Sinnvoll erscheint es dagegen, die Gelegenheit zu nutzen und die Gebührensysteme für Abwasser auf ein völlig neues Fundament zu stellen. Es wird sich anbieten, eine Grundgebühr einzuführen, statt alle Kosten in die mengenabhängigen Gebühren zu übertragen. Damit können die Beiträge, die ja ehedem Fixentgeltcharakter haben, in fixe Gebührenbestandteile umgewandelt werden.

Vorteile der Einführung von fixen Abwassergebühren – und Anhebung der Trinkwasser-Grundpreise oder -Gebühren

Durch die Einführung von Grundgebühren bei Abwasser können zwar der Rückgang des Gebührenaufkommens in Folge Wassersparens oder demografischen Wandels nicht völlig vermieden werden, er fällt aber zwangsläufig geringer aus. Da die Grundgebühren sichere Einnahmen darstellen, können die betroffenen Kommunen oder Verbände die ggf. erforderlichen Kredite zur Refinanzierung der Rückzahlungsverpflichtungen an die Altanschliesser bzw. der Beitragsausfälle mit einem zu beispielsweise 50 Prozent festem Gebührenaufkommen absichern. Für die Kredit gewährenden Institutionen sinkt damit das Risiko. Das dürfte die Verhandlungen vereinfachen.

Einen weiteren Vorteil hat die Umstellung. Bei Wasserversorgern und zunehmend auch bei Abwasserentsorgern steigt die Einsicht, dass hohe variable Preis- oder Gebührenanteile auf Dauer nicht nachhaltig sein können und nicht nur wegen des Nachfragerückgangs ökonomische Probleme hervorrufen. Das wirkt sich in vielen Regionen entweder durch Entgeltspiralen oder Kostenunterdeckungen aus (siehe Saarland). Deshalb stellen zur Zeit vermehrt Wasserversorger auf höhere Grundpreise um (z.B. Stadtwerke Krefeld, Stadtwerke Aschersleben, Stadtwerke Jülich, Stadtwerke Velbert, RWW u.a.). Eine solche Entwicklung ist auch bei Abwassergebühren zu erwarten, wie Befragungen des BDEW zeigen. Denn auch wenn eine Kostenunterdeckung aus kommunalabgabenrechtlichen Gründen nicht entstehen darf, so ganz entspannt wird kein Verantwortlicher sein, wenn die Kostendeckung laufende Gebührensteigerungen nach sich zieht. Die Folgewirkungen einer Gebührenspirale und eine höhere Planungs- und Finanzierungssicherheit sind stichhaltige Argumente für die Einführung von Grundgebühren.

Das Urteil liefert die Begründung für eine Umstellung auf nachhaltige Gebühren und Preise

Eine der wichtigsten Herausforderungen bei der Umstellung der Entgelte bei Trink- und Abwasser ist die Überzeugung der Öffentlichkeit und Politik. Wir erleben es in unserer Beratungspraxis bei RWW/MOcons immer wieder, dass plausible Gründe gefordert werden, bevor eine Umstellung akzeptiert wird. Das ist ja auch sehr verständlich, schließlich soll ausgeschlossen werden, dass mit der Umstellung verdeckte Entgeltsteigerungen einhergehen. Das dürfte den betroffenen Kommunen und Verbänden bei der Notwendigkeit zur Refinanzierung der Beitragsausfälle jetzt vergleichsweise einfach fallen. Auch deshalb ist der Zeitpunkt zur Umstellung geradezu genial. Denn statt mit ständig steigenden und unsicheren Gebührenentwicklungen leben zu müssen oder über Steuereinnahmen zu kompensieren, könnte eine Umstellung auf eine 50-prozentige Grundgebühr bei Abwasser als Lösung von allen Beteiligten akzeptiert werden. Da der Prozess einmal im Gange ist, liessen sich durch die gleichzeitige Umstellung der Trinkwasserentgelte wirklich einmal Synergieeffekte nutzen. Damit würde eine Struktur entstehen, die ich vor zwei Jahren auf einer Informationsveranstaltung des BDEW Mitteldeutschland in Magdeburg gezeigt habe.

Modellstruktur Systemgebühren für Trink- und Abwasser
Systemgebühren für Trink- und Abwasser

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Da sowohl auf der Trinkwasserseite wie auch beim Abwasser mindestens 80-prozentige Fixkosten vorliegen, wäre es eigentlich nur konsequent, die Gebühren bzw. Preise für beide Leistungen auf ein höheres Niveau zu heben. Meistens findet man 20-prozentige (oder geringere) Grundpreise und ausschliesslich variable Gebühren bei Abwasser. Eine Umstellung, wie vorstehend skizziert, schafft eine ausgewogene Gebühren- und Preisstruktur bei Trink- und Abwasser. Für die Nutzer bleiben mit 50 Prozent variablen Mengenpreis und-gebühr immer noch genügende Anreize zum Wassersparen. Mindestens in NRW sind derartige Umstellungen sowohl vom BUND, dem Bund der Steuerzahler und der Landeskartellbehörde befürwortet worden. Zudem werden im Rahmen eines mit Landesmitteln geförderten Projektes effiziente und zukunftsfähige Abwassergebührenmodelle entwickelt. Bei Trinkwasser haben sich die neuen Modelle bereits seit mehr als vier Jahren bewährt. Das Urteil und seine Folgen können so zu einer tragfähigen Zukunftslösung auch in anderen Bundesländern beitragen.

Bei Interesse einfach anfragen: siegfried@gendries.de

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