Warum wir Deutschen das Leitungswasser wieder lieben und die Politik uns hilft

Der Siegeszug des Trinkwassers aus der Leitung bekommt neuen Schwung. Bundesumweltministerin Schulze unterstützt Trinkwasserprojekte. Auch immer mehr Ehrenamtliche setzen sich für das Leitungswassertrinken ein. War früher das Trinken von Leitungswasser verpönt, so erhält man mittlerweile zweifelnde Blicke, bietet man seinen Gästen Mineralwasser an. Wie sehr sich die Zeiten geändert haben, zeigt auch die Vergabe des Ecodesign-Preises an „Refill“.

„Qualität setzt sich durch“, könnte das Fazit dieser erfreulichen Entwicklungen dank steigender Akzeptanz des Trinkwassers lauten. Viele Jahre schon versuchen die Versorger für ihr Produkt zu werben. Trinkbrunnen, Wasserspender und viel Aufklärungsarbeit vermochten den Marketingkampagnen der Mineralwasserbranche kaum etwas entgegen setzen. Das Forum Trinkwasser ließ Gesundheitsexperten zu Wort kommen. Sie empfahlen das Trinken des allzeit verfügbaren und bestens kontrollierten Leitungswassers. Der Boom bleib aus, das Mineralwasser schien beliebter. Auch wenn der Preis für die Erfrischung aus dem Wasserhahn unschlagbar ist und nur ein Hundertstel des Flaschenwasser kostet, die „Geiz-ist-geil-Mentalität“ der Deutschen setzte im Getränkeshop aus.

„Refill“ – eine gute Idee für frisches Trinkwasser mit kleinen Wermutstropfen   

Jetzt kommt ein frischer Wind, der das Wasser aus dem Hahn plötzlich doch wieder beflügelt. Die Flaschenabfüllung ist out, Selbstabfüllen in. „Refill“ heisst das Zauberwort. Kleine blaue Plaketten weisen den Weg zum nächsten frei zugänglichen Wasserhahn. In diesem Sommer lernten viele den Flaschenwasserersatz zu schätzen. Schon 3.000 Stationen soll es in Deutschland geben, täglich werden es mehr. Mitmacher sind Geschäfte, öffentliche Einrichtungen und Cafés – von Städten oder Initiativen organisiert. Keine Stadt will die Welle verschlafen. Erst kürzlich wurde „Refill“ sogar mit dem Bundespreis Ecodesign 2018 ausgezeichnet. Prämiert wurde nicht das Produkt, sondern das entworfene soziale und umweltfreundliche Verhalten, wie die Jury erklärt. 

Ob sich die Zugkraft des Wasserhahns für die mitmachenden Geschäfte auch in Euro auszahlt, also Wassertrinker nicht nur ihre Flaschen auffüllen, sondern auch dort einkaufen? Werden also alle dabei bleiben? Vermutlich ja, keiner will aufgeben, zu einfach ist der Werbeeffekt in der Refill App oder auf deren Website.

Hierbei ist allenfalls bedauerlich, dass es eine deutsche Refill-App, die den Weg zur nächsten Nachfüllstation weist, nicht geplant ist (wie den FAQ zu entnehmen ist). Hierzulande muss man sich dann mit der englischen Version begnügen, dort findet man aber mal gerade 360 Anlaufpunkte. Die Lösung für die mobilen Wassertrinker könnte „Trinkwasser unterwegs“ sein, eine App aus der Wasserwirtschaft (siehe Abbildung). Aber auch hier ist das Angebot mit rd. 400 Zapfstellen noch eher dürftig. Warum arbeiten Refill und „Trinkwasser unterwegs“ nicht einfach zusammen?

Ein weiterer Wermutstropfen könnte die Hausinstallation sein. Wenn die Euphorie sich gelegt haben wird, sollte auch mal jemand dahin schauen. Denn nicht überall werden die Trinkwasserleitungen und Armaturen auch so gepflegt, wie es sein sollte. Eher halbherzig sorgt Refill vor und weist in den FAQs auf die Eigenverantwortlichkeit hin. Wer halbwegs auf Nummer Sicher gehen möchte, sollte vor dem Auffüllen seiner Flasche das Wasser zunächst einige Zeit laufen lassen.

Refill App
Refill App (englische Version)
„Trinkwasser unterwegs“ – die deutsche App für den Weg zum nächsten Brunnen

Kostenloses Trinkwasser in der Gastronomie und Refill – beides hat seinen Ursprung auf der Insel. Die Auffüll-Idee stammt aus dem westenglischen Bristol. Neu ist die Rückendeckung aus Brüssel. Anlässlich der Novellierung der EU-Trinkwasserrrichtlinie haben sich EU-Kommission und Parlament in seltener Eintracht entschlossen, dem Plastikwahn in Europa den Kampf anzusagen. So beschloss das EU-Parlament Ende Oktober: „Die Mitgliedstaaten sollten den allgemeinen Zugang zu sauberem Wasser in der Europäischen Union fördern und Zugang zu Wasser in Städten und öffentlichen Einrichtungen verbessern, und zwar durch die Einrichtung von frei zugänglichen Trinkbrunnen, soweit dies technisch möglich und verhältnismäßig ist. Die Abgeordneten plädieren auch dafür, dass Leitungswasser kostenlos oder gegen eine geringe Gebühr in Restaurants, Kantinen und bei Catering-Dienstleistungen bereitgestellt wird. Dies ist der Teil der europäischen Strategie für Kunststoffe und soll den Übergang zu einer stärker kreislauforientierten Wirtschaft unterstützen, denn Plastikflaschen machen Müll.

Die deutschen Wasserflaschen sind mit Pfand belegt. Irgendjemand wird diese schon davor bewahren in den Weltmeeren zu landen – seien es die Käufer oder die Pfandsammler. Aber dieses System hilft den deutschen Abfüllbetrieben nicht. Der Druck auf die Plastikflaschen steigt unaufhörlich. Der dafür verantwortliche „Medien-Tsunamie“ und die „viralen Wellen“ in den sozialen Medien überrollen die erfolgsverwöhnte Flaschenwasserbranche. Man wird gespannt sein, wie sich dies auf deren Absatzzahlen auswirken wird. 

Bundesumweltministerin macht Kampfansage an die Plastikflaschen. Und wer soll das bezahlen?

Bundesumweltministerin Svenja Schulze setzt sich an die Spitze der Bewegung. Auch Schulz will gegen die Plastikflut vorgehen und die Wegwerf-Gesellschaft verändern. Unter anderem sollen an öffentlichen Orten mehr Wasserspender aufgestellt werden. Das ist ein Ziel ihres 5-Punkte-Plans gegen den Verpackungswahn. „In den Städten soll es überall gut erreichbar Nachfüllstationen für Wasserflaschen geben“, heißt es in dem Papier. „In kaum einem anderen Land ist das Leitungswasser so gut wie bei uns. Leitungswasser ist das am strengsten kontrollierte Lebensmittel in Deutschland – man kann es ohne Bedenken trinken. Niemand muss in Deutschland für zu Hause Wasser in Flaschen kaufen. Unser Ziel: In den Städten soll es überall gut erreichbar Nachfüllstationen für Wasserflaschen geben,“ erklärt das Bundesumweltministerium. Gut gebrüllt, könnte man entgegnen! Leider erklärt niemand, wer die kostenlosen Wasserangebote finanzieren soll. Wasserspender oder Brunnen kosten Geld, ihre Wartung und Qualitätssicherung gehört in die Hände von Fachleuten. Schon vernimmt man aus den Landeskartellbehörden Zweifel an der Zuständigkeit der Wasserversorger. Haben die Städte dafür Töpfe? Vielleicht springt ja der Bund ein und unterstützt die Initiativen. Ich werde mich mal umhören 🙂

Wie die Umweltministerin die Wegwerfgesellschaft verändern will (Q. Website BMU)

Wasserkiez in Berlin erhält Fördermittel. Jetzt können Partner in anderen Städten profitieren.  

In Berlin ist die Finanzierung schon gelungen. So erhielt die Initiative a tip: tap e.V., in der sich Studenten ehrenamtlich für das Trinkwasser aus der Leitung einsetzen, im Rahmen der Nationalen Klimainitiative eine Förderzusage über rund 100.000 Euro. A tip: tap will im Marianenkiez in Berlin-Kreuzberg die Bevölkerung überzeugen, mehr Leitungswasser und weniger Flaschenwasser zu trinken. Das Wasserthema wird ganzheitlich angegangen. Qualitätswahrnehmung ist wichtig, deshalb wird das Trinkwasser beprobt. Zur Zielgruppe des Pilotprojekts Wasserkiez zählen Anwohnerinnen und Anwohner, Schulen, Kitas, Unternehmen, Vereine, Behörden und Gastronomie. Schon 25 Refill-Stationen gibt es in kulturell bunten Kreuzberg. Das ganze Quartier soll leitungswasserfreundlich werden. Dazu haben die umtriebigen tipp-tapper ein starkes Programm für Aufklärungs-, Informations- und Bildungsarbeit entwickelt, das sich auf verschiedene Zielgruppen ausrichtet. Ich traf den Verantwortlichen für die Kiez-Aktion, Julian Fischer, in der vergangenen Woche in einem Café in Kreuzberg. Enthusiastisch beschrieb er mir die Idee. Die Idee der „Wassernachbarschaften“ oder „Wasserquartiere“ wollen sie jetzt mit der Förderung durch die Klimainitiative durch die Republik tragen. Noch hat das Projekt freie Kapazitäten. Sie suchen Städte oder besser noch Wasserwerkspartner, um ihre erklärte „Wasserwende“ in andere Quartiere zu tragen. Wer als Wasserversorger von seinem Wasser überzeugt ist und seine Mitbürger aufklären will, wie sie auf das Flaschenschleppen verzichten und die Umwelt schützen können, der ist bei a tipp:tap an der richtigen Adresse. Ich bin überzeugt: das Mitmachen lohnt sich! Bin gespannt und werde berichten!

Fassen wir zusammen: 

  • Politik und Gesellschaft – Jung und Alt – Trinkwasser aus dem Wasserhahn ist wieder „in“ und soll das Plastikproblem lösen helfen, in dem es Flaschenwasser verdrängt.
  • Refill ist auf dem Vormarsch und wird noch weiter Zulauf bekommen.
  • Die EU und die Bundesumweltministerin wollen Trinkwasserspender und Trinkbrunnen im öffentlichen Raum. Wie deren Finanzierung aussehen soll, verschweigen sie noch.
  • Auch wenn Trinkwasser kostenlos ist, die Hygiene muss gewährleistet werden.
  • Mit den Wasserquartieren von a tip:tap aus Berlin bahnt sich eine weitere Initiative den Weg.

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  1. Hahnenwasser: Ein Brief von Klara aus Frankfurt | Heidis Mist

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