Impuls für Demografie-feste und Nachfrage-robuste Wasserpreisstrukturen am Beispiel Baden-Württemberg

Herausforderungen für die Wasserwirtschaft und stabile Wasserpreise aufgrund von Rückgängen bei den Bevölkerungszahlen und der Trinkwassernachfrage werden vorrangig als Phänomen ostdeutscher Kommunen angesehen. Wie sich zeigt, betrifft dies viele Versorger in ganz Deutschland. Mit den Rahmenbedingungen und dem möglichen Lösungsansatz einer neuen Tarifstruktur befasst sich der nachfolgende Beitrag.

Entwicklung der Wassernachfrage und der Bevölkerungszahlen in Baden-Württemberg

Auch in Baden-Württemberg gehen Prognosen des Statistischen Landesamtes zufolge die Bevölkerungszahlen zurück. Waren es 2008 noch 10,75 Millionen Einwohner, sollen es 2030 nur 10,37 Millionen sein. Zwar sind – 3,5% Rückgang bis 2030 für den Landesdurchschnitt noch vergleichsweise moderat, aber positive Bevölkerungszahlen finden sich nur in Baden-Baden (+ 1,8%) und Ulm (+0,3%). In Heidelberg soll die Einwohnerschaft sogar um -4,2 % sinken. Für die Wasserwirtschaft hat dies Folgen. Die Infrastruktur wird dann für weniger Menschen und eine geringere Wasserabnahme vorgehalten. Gleichzeitig bezahlen auch weniger Menschen dafür. Bevor hier schon das Ergebnis gezeigt wird, lohnt der Blick auf eine weitere Schwierigkeit. Dass die Wassernachfrage als Folge der demographischen Entwicklung sinkt, ist nicht verwunderlich. Seit 2010 ist die Wasserabgabe an Privathaushalte um 5% von 477 auf 450 Milliarden Kubikmeter gesunken. 1991 waren es noch 507 Milliarden. Viel relevanter aber ist, dass sich die Nachfrage pro Kopf vermindert. Die Privathaushalte haben statt der 140 Liter in 1991 nur noch 115 Liter täglich dem öffentlichen Leitungsnetz entnommen. Diese Werte liegen unter dem Bundesdurchschnitt, der bei 122 Liter liegt. Bereinigt um das Kleingewerbe, liegt der Wasserverbrauch je Einwohner bei 98 Litern täglich. Selbst Städte wie Baden-Baden mit dem relativ höchsten Zuzug werden die Nachfragerückgänge pro Kopf in der Folge nicht kompensieren können. Selbst deren Gesamtnachfrage wird sinken. Wie verhält es sich nun mit den Wasserpreisen und den Kosten für die Wasserversorgungsinfrastruktur. Es ist mittlerweile unstrittig, dass rückläufige Nachfrage und Bevölkerungsschwund zu höheren Preisen führen müssen.

Auswirkungen auf die Wasserpreise und die Kostendeckung

In Baden-Württemberg liegt der durchschnittliche Mengenpreise für Trinkwasser, also das was für das gelieferte Wasser gezahlt werden muss, bei 1,97 Euro je Kubikmeter. Der Grundpreis, also quasi das Entgelt für die Systemvorhaltung, liegt im Landesdurchschnitt bei 32 Euro jährlich. Bezogen auf einen Jahreswasserverbrauch eines in einem Dreifamilienhaus wohnenden Drei-Personen-Durchschnittshaushalts mit 107 Kubikmetern ergeben sich Gesamtkosten von 243,30 Euro jährlich. In diesem Fall beträgt der Durchschnittspreis je Kubikmeter 2,27 Euro. Dabei macht der Mengenpreisanteil 87% der Gesamtentgelte aus, der Grundpreisanteil aber nur 13%. Mit jedem Kubikmeter Nachfragerückgang fehlen dem Wasserversorgungsunternehmen damit Beiträge um die Kosten zu decken oder die Preise stabil zu halten. Um zu verstehen wie dramatisch es werden kann, hilft ein Blick auf die Kosten. Die fixen, also unveränderbaren Kosten liegen bei 80%. Mit jedem Kubikmeter weniger Verbrauch gehen 1,97 Euro an Einnahmen verloren. Das wäre nicht so dramatisch, ließen sich die Kosten im gleichem Maße reduzieren. Das ist aber bei den Leitungsnetzen und Wasserwerken nicht möglich. Angenommen, die Kosten liegen bei ebenfalls 2,27 Euro je Kubikmeter, dann müssten auch 80%, also 1,80 Euro durch fixe Entgelte, d.h. dem Grundpreis gedeckt werden. Dieser deckt aber tatsächlich nur 13%, also 0,30 Euro je Kubikmeter. Das bedeutet, dass dem Wasserversorger mit jedem Kubikmeter Wasser der weniger abgesetzt wird, rund 1,50 Euro fehlen. Dabei wird unterstellt, dass er die variablen Kosten – also Energie für die Pumpen oder Hilfsstoffe –mit der verringerten Nachfrage zurückfahren kann. Welche wirtschaftlichen Folgen diese Entwicklung der Nachfragerückgänge nach sich zieht, erkennt man, wenn man sich einen mittelgroßen Versorger anschaut, der von seinen 10 Millionen Kubikmeter jährlich 1 Prozent verliert. Dieser muss dann wegen der Fehlbeträge von rund 150.000 Euro entweder bei den Investitionen sparen oder Erhaltungsaufwendungen kürzen oder gar die Preise anheben. Immer häufiger findet man diese Begründung bundesweit bei den Wasserversorgern in den Ankündigungen ihrer Wasserpreissteigerungen. Eine mögliche Lösung: ein neues Tarifsystem Die Lösung liegt in einer geänderten Preisstruktur. Diese sollte sich stärker als bisher üblich an der Kostenstruktur orientieren. So wird einerseits der Grundpreis angehoben und im Gegenzug der Mengenpreis gesenkt, denn es soll ja keine versteckte Preiserhöhung stattfinden. Ein solches Preismodell gibt es schon. Es ist vor zwei Jahren bei der RWW eingeführt worden. Es handelt sich dabei um das so genannte „Systempreismodell“. Die Neuerungen des Tarifsystems sind umfassend: Zunächst einmal wurde von RWW der Begriff „Systempreis“ eingeführt. Dieser verdeutlicht begrifflich, worum es bei diesem Entgeltbestandteil geht: nämlich um die Kosten für die Vorhaltung und den Betrieb des Versorgungssystems, treffend als „Systemkosten“ bezeichnet. Besondere Aufmerksamkeit gewinnt der Systempreis auch deshalb, weil er sich bei den Wohngebäuden nicht mehr an den Zählern, sondern an der Anzahl der Wohneinheiten orientiert. Damit wurde eine Verteilungsbasis ermöglicht, die dazu beiträgt, Umstellungseffekte bei den Kunden zu vermindern. Statt auf rund 130.000 für Wohnzwecke genutzte Zähler wurde der Systempreis auf rund 340.000 Wohneinheiten verteilt. Bei den so genannten Nichthaushaltskunden, wozu in erster Linie Gewerbebetriebe gerechnet werden, sind Versorgungsklassen für die Höhe des Systempreises ausschlaggebend. Der Tarifverlauf ist dank der individuell auf die Bedingungen im RWW-Versorgungsgebiet ausgerichteten Degression folglich derart gestaltet, dass mit steigender Gebäudegröße die durchschnittlichen Systempreisanteile je Wohneinheit sinken. Da somit die bisherige Grundpreis-Degression im Grundsatz – allerdings auf einem anderen Niveau – beibehalten worden ist, konnten Belastungssprünge zum Zeitpunkt der Umstellung vermieden werden. Zudem werden die Synergieeffekte bei Mehrfamilienhäusern und die technisch bedingten Beschränkungen einer tatsächlich gleichzeitigen Leistungsinanspruchnahme berücksichtigt. Nach herrschender Rechtsauffassung gilt die Wohneinheit gegenüber dem ebenfalls zulässigen Wasserzähler sogar als „feinerer“, weil zu einer größeren Gerechtigkeit führendem Maßstab (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13.11.2008, 6 U 63/08, Rn. 18; OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22.09.1994, 2 L 93/93, Rn. 32). Um umstellungsbedingte Kostenbelastungen für die Kunden zu vermeiden, wurde von RWW der Mengenpreis im Gegenzug zur Systempreisanhebung gesenkt. Statt 1,62 Euro je Kubikmeter waren ab 1.1.2012 nur noch 1,21 Euro je Kubikmeter zu zahlen – und zwar für alle Kundengruppen einheitlich. Damit wurden die Anhebungen der festen Entgelte, also der Systempreise, für die Gesamtheit der Kunden ausgeglichen.

Ausblick

Das Systempreismodell findet bereits Nachahmer und Interessenten. So wurde es zum 1.1.2014 von den in Sachsen-Anhalt ansässigen Stadtwerken Aschersleben erfolgreich übernommen. Mittlerweile wird es von einer ganzen Reihe betroffener Wasserversorgern als ein Lösungsansatz für Demografie-feste und Nachfrage-robuste Wasserpreise angesehen. Dies könnte angesichts der Herausforderungen auch für die Wasserversorger in Baden-Württemberg gelten.

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